wappen
Heimatkundliches über den Hotzenwald und seine Umgebung

 

Ein Vortrag von
Dr. phil. Christian Ruch

 

 

 

 

Der Schwarzwald – ein Sekten-Paradies?

 

 

 

„Am Horizont bricht der Morgen an. Unterhalb der waldbedeckten Berge des herbstlichen Südschwarzwaldes liegen weiße Nebelbänke in den Tälern. (...) Noch trifft das Licht der ersten Sonnenstrahlen vereinzelt durch die dunklen Tannen auf den Boden des Waldes. Der Nebel löst sich langsam auf. Umragt von moosbewachsenen Felsen stürzt ein Wasserfall in einen kleinen See. Wild beim Grasen auf einer Lichtung. Eine Eule sitzt auf einem Ast. (...) Auf den Anhöhen der Täler stehen abgelegene Bauernhöfe. Eine alte Bäuerin erzählt Sagen aus dem Schwarzwald und berichtet über die wichtigen Rituale, die eine gute Ernte, eine erfolgreich Milchproduktion und Glück für Unternehmungen erfordern. Wir erfahren, wie diese überlieferten Geschichten die Menschen in der Region von jeher geprägt haben.“ [1]

Mit diesen stimmungsvollen Bildern soll – wenn es nach dem Willen des Berliner Filmemachers Gerhard Weber geht – ein Film über den Schwarzwald und seine eigenartige Häufung spiritueller Gruppen beginnen, in denen sich Menschen auf die Sinnsuche begeben. „Der Schwarzwald“, so heisst es im Exposé des Films, „ist zu einem mitteleuropäischen Zentrum dieser Sinnsuche geworden. Er hat mit seinen Kultstätten und Überlieferungen als Glaubenszentrum eine Jahrtausende alte Geschichte und eine landschaftlich mythische Ausstrahlung.“ [2] Wie kam Gerhard Weber überhaupt auf die Idee, über den Schwarzwald unter diesem Aspekt einen Film zu drehen? Kurz vor Weihnachen 2004 erschien in der Zeitung „Sonntag Aktuell“, die vor allem im nördlichen Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz gelesen wird, ein Artikel mit dem Titel „Im Land der Elfen und Schamanen“. Darin wusste die Reporterin Susanne Stiefel Wundersames zu berichten:

„Natürlich gibt es hier Elfen und Gnome. Sie helfen bei der Gartenarbeit, sind etwa so groß wie der deutsche Gartenzwerg und fühlen sich in dessen Gegenwart pudelwohl. Weshalb die bunten Skulpturen deutscher Glückseligkeit auch großzügig verteilt sind rings um das imposante Schwarzwaldhaus, das seine Bewohner schlicht ‚Heiligtum’ nennen. ‚Ja natürlich’, sagt die junge Frau im weißen Kleid und lächelt selig-wissend, ‚Elfen und Gnome sind Wesenheiten, die es wirklich gibt. Wussten Sie das nicht?’ Nicht wirklich. Aber vielleicht muss man erst nach Lindau in den tiefsten Schwarzwald reisen, wo Uriellas Orden Fiat Lux seinen Stammsitz hat, um auf solche Wissenslücken zu stoßen. Oder auf Menschen, die das alles glauben wie die freundliche, junge Anhängerin dieser Sekte. Da sitzt sie in der Rohkost-Eremitage des Ordens, wo Gäste empfangen werden, so sie sich hierher verirren, was so gut wie nie passiert. Und serviert Kräutertee, luftgetrocknete Dinkelplätzchen und als Beweis für die Existenz der Elfen im Schwarzwald – eine Geschichte. Es war einmal, in diesem Sommer, bekräftigt die sanfte Frau in Weiß, da hat eine Mitschwester bei der Gartenarbeit ihr Kreuz verloren. Sie suchte und suchte und klagte den Zwergen, Elfen und Gnomen, wie viele Erinnerungen an dieses Schmuckstück geknüpft seien, ach, und wie schmerzhaft der Verlust. Nach drei Tagen fand sie ihr Kreuz an einer Stelle, die sie schon mehrfach abgesucht hatte, auf einem Stein, wie ein Geschenk drapiert. ‚Es gibt hier eben besondere Schwingungen’, sagt die junge Frau zum Abschied und strahlt mit den rosa Engelchen und künstlichen Blümchen in der Eremitage um die Wette. Tatsache ist, dass sich allerlei Schwingungsempfängliche hier gerne ansiedeln. (...)
Es gibt christlich-fundamentalistische Splittergruppen wie die Schwestern vom kostbaren Blut Mariens in Häusern oder eben den weiß gewandeten Orden Fiat Lux in der Gemeinde Ibach. Fiat Lux mit Chefin Uriella an der Spitze ist übrigens der Sektenstar hier im Schwarzwald. Seit sie in die schwarzen Wälder gezogen sind, heisst Ibach nur noch Fiat-Lux-Town, weil Uriella von hier aus ihr Weihwasser verkauft, das angeblich so prima heilen soll. Es gibt esoterische Zentren wie in Todtmoos-Rütte um den Psychologen und Esoteriker Karlfried Graf Dürkheim. Oder verschiedenste buddhistische und hinduistische Selbsterkennungstreffs wie in Todtnau oder Breitenfeld oder Remetschwiel. Auch der Buddhist und „Tatort“-Kommissar Eberhard Feik alias Thanner fand im Hochschwarzwald seinen Frieden. Die Sektenbeauftragten können gar nicht so schnell schauen, wie diese Zirkel gegründet und wieder aufgelöst werden. Die Suche nach dem Sinn des Lebens ist rastlos. Im Schwarzwald hat sie einen Ort gefunden.“ [3]

 

 

Soweit Susanne Stiefel in ihrem – vielleicht haben Sie’s gemerkt – etwas sensationsheischenden und im Übrigen nicht einmal besonders gut recherchierten Artikel.

Gleichwohl stellt sich die Frage: Ist der Schwarzwald ein Sekten-Paradies? Denn es ist in der Tat kaum zu leugnen, dass hier die Zahl spiritueller Grüppchen und esoterischer Zentren höher liegt als in anderen Gegenden der Bundesrepublik. Bevor wir die Frage beantworten können, ist es jedoch vielleicht sinnvoll, zunächst einmal zu klären, was unter wissenschaftlichem Aspekt eigentlich unter einer Sekte verstanden wird. Denn vieles, was am Stammtisch oder sonst wo leichtfertig als „Sekte“ bezeichnet wird, ist gar keine. Die Unsicherheit jedenfalls ist gross und deshalb werden Weltanschauungsbeauftragten und sogenannten Sektenexperten immer wieder nach „Sekten-Listen“ gefragt – also einer Zusammenstellung aller Gruppierungen von A bis Z und wohlmöglich noch nach Gefährlichkeit klassifiziert. Doch da muss ich Sie gleich enttäuschen: solche Listen gibt es nicht und sie wären auch nicht sinnvoll. Denn zum einen ist die religiöse Landschaft dauernd in Bewegung: Gruppen werden neu gegründet und verschwinden, benennen sich um oder schliessen sich mit anderen Gruppen zusammen. Zum andern ist auch das Innenleben einer religiösen Organisation dynamisch: die eben noch harmlose Freikirche kann sich in ein paar Jahren zu einer radikalen Sekte wandeln, umgekehrt gibt es Entwicklungen, die das Sektenpotenzial reduzieren. Ein Beispiel: Die „Neuapostolische Kirche“ war bis vor wenigen Jahren eine klassische Sekte. Mittlerweile hat sie sich jedoch einem ökumenischen Dialog mit den beiden grossen Landeskirchen geöffnet und zahlreiche interne Reformen eingeleitet, die den Schluss zulassen, dass hier eine regelrechte „Ent-Sektung“ stattfindet. Ähnliches hat bei den „Siebenten-Tags-Adventisten“ stattgefunden.

Es gibt also zwar keine „Sekten-Listen“, es gibt aber sehr wohl Kriterien, die es ermöglichen, eine Gruppe danach zu beurteilen, ob sie die Strukturen einer Sekte aufweist oder nicht. Was also ist eine Sekte, was sind Merkmale einer Sekte? Der Ursprung des Wortes „Sekte“ ist nicht ganz klar: Es stammt entweder vom lateinischen „sequi“ (nachfolgen) oder vom ebenfalls lateinischen „secare“ (abschneiden, abtrennen). Beide Herleitungen helfen, den Begriff „Sekte“ näher zu definieren: Es handelt sich um Nachfolgegemeinschaften, die sich von einer anderen Gruppierung abgetrennt haben.

In diesem Sinne lässt sich das frühe Christentum durchaus als Sekte bezeichnen: als eine Nachfolgegemeinschaft, die sich vom Judentum abgetrennt hat. Problematisch an diesem theologischen Sektenbegriff ist jedoch, dass er für zahlreiche heutige Gruppierungen nicht mehr greift. Die berühmt-berüchtigte Scientology-Organisation etwa ist eine Sekte, die nicht aus einer Abspaltung hervorgegangen ist. Sinnvoller ist es deshalb, einen soziologischen Sektenbegriff anzuwenden.Demnach sind Sekten Organisationen,


die klar auf eine Führerpersönlichkeit und dessen Ideologie ausgerichtet sind,
ihre Anhänger eng an die Organisation und deren Heilskonzept binden,
kein oder nur ein begrenztes soziales oder diakonisches Engagement entwickeln,
sich von einer feindlichen Welt umringt sehen,
den Anspruch haben, dass nur sie allein über das richtige Heilskonzept verfügen,
mehr oder weniger immun gegen Kritik von innen und aussen sind
sowie Kritiker, Abtrünnige und Aussteiger diffamieren bzw. im Extremfall sogar bedrohen.

Eines darf dabei nicht übersehen werden: diese Definition ist eine Definition von aussen, keine einzige Sekte würde sich selbst als „Sekte“ bezeichnen. Und es ist daher ein Begriff, der einen klar negativ wertenden Charakter hat. Ihn anzuwenden sollte also immer nur mit grosser Vorsicht und Zurückhaltung erfolgen. Angesichts der zunehmenden Zersplitterung der religiösen Landschaft ist sogar die Frage gestellt worden, ob es noch Sinn macht, von „Sekten“ zu sprechen.

Die Religionswissenschaft ist hier in einer anderen Position als die kirchliche Beratungs- und Aufklärungsarbeit. Die Religionswissenschaft kann es bei einer reinen Beschreibung belassen, sie muss keine Wertungen vornehmen. Die kirchliche Beratungs- und Aufklärungsarbeit, die sich heutzutage als eine Art „spiritueller Konsumentenschutz“ versteht, muss jedoch gerade im Interesse des Schutzes sagen können, was ist – mag dies für die betroffene Gruppe auch noch so störend und unbequem sein.

Begutachtet man unter den gerade genannten Kriterien Uriellas sogenannten „Orden Fiat Lux“ ist ganz klar, dass es sich bei dieser Gruppierung um eine Sekte handelt. Denn: · 

Fiat Lux ist eindeutig und ausschliesslich auf Uriella und ihre (angeblich von Jesus stammenden) Botschaften ausgerichtet. · 
Durch die Aufgabe des eigenen Namens, des bisherigen sozialen Umfelds und z.T. sogar des bisherigen Wohnorts sowie den Verzicht auf Massenmedien werden die Anhänger eng an den „Orden“ gebunden. · 
Kritiker wie Friedrich-Wilhelm Haack, Felix Kuballa, kirchliche Weltanschauungsbeauftragte und Vertreter des Staates, die gegen Fiat Lux vorgehen, werden als Handlanger des Bösen gesehen. [4] · 
Fiat Lux nimmt für sich in Anspruch, das einzig wahre Christentum (ein „wahres Urgeistchristentum“ [5] zu leben. · 
Kritik innerhalb von Fiat Lux ist unmöglich, wer Uriella in Frage stellt, stellt den Heiland in Frage, ist also „böse“ und damit eine Gefahr für die Gemeinschaft, was den Ausschluss nach sich ziehen kann. · 
Aussteiger wurden zumindest von führenden Fiat Lux-Mitgliedern oft in eindeutig negativer Weise dargestellt.

Der mediale Rummel, der über Ibach und z.T. auch Waldshut immer mal wieder hereinbrach, ist sicher nicht ganz unschuldig am Image des Schwarzwalds als vermeintliches Sekten-Paradies. „Fiat Lux“ wurde von Uriella alias Erika Bertschinger, geb. Gessler, Jahrgang 1929, zwar schon im Januar 1980 gegründet, erregte in unserer Region aber erst Aufmerksamkeit, als die Gruppierung zwischen 1984 und 1988 mehrere Häuser im Görwihler Ortsteil Strittmatt erwarb bzw. baute und es zu Auseinandersetzungen über eine Windkraftanlage kam, die bei einem der Strittmatter Fiat Lux-Häuser errichtet werden sollte. Es wurde immer wieder behauptet, Uriella habe von Jesus mitgeteilt bekommen, dass man sich in Strittmatt wegen der fünf „t“ im Ortsnamen („t“ als Kreuzessymbol) niederlassen solle. Dies scheint aber nicht zu stimmen. Icordo hat mir gegenüber einmal geäussert, dass man den Hotzenwald als Refugium erwählt habe, weil hier das „Herzchakra des Erdgeistes“ verlaufe und diese Gegend daher ein besonderer Kraftort sei, der auch die von Uriella vorhergesagten apokalyptischen Katastrophen unbeschadet überstehen werde. Im September 1990 bekam Uriella (wiederum angeblich vom Heiland) den Auftrag, nach Deutschland zu „dislozieren“. Dort hatte man inzwischen im Ibacher Weiler Lindau den ehemaligen Gasthof „Adler“ erworben. Er wurde aufwendig renoviert und ausgebaut und diente Fiat Lux „Heiligtum“, in dem Uriella ihre Offenbarungen erhielt und Seminare veranstaltet wurden. Ausserdem betreibt der „Orden“ dort ein vegetarisches Restaurant.

Inzwischen ist es, wie Sie vermutlich alle wissen, sehr ruhig um Uriella geworden. Vorbei sind die schrillen Auftritte in den Medien, denn Uriella scheint schwer krank zu sein bzw. gewesen zu sein. Die Offenbarungstätigkeit ist weitgehend eingestellt und heftige innere Konflikte haben dazu geführt, dass der „Orden“ zahlenmässig ziemlich geschrumpft ist. Neulich, zum 78. Geburtstag, hat Uriella zwar nochmals ein Lebenszeichen von sich gegeben, aber man kann wohl trotzdem davon ausgehen, dass der „Orden“ in einer recht grossen Agonie vor sich hinsiecht. Den Ibachern kann dies nur recht sein. Sie hätten „darunter gelitten, dass sie auf Fiat Lux reduziert wurden, erzählt Bürgermeister Meiners“ der „Badischen Zeitung“: ‚Wenn du irgendwohin gekommen bist, hieß es nur: Ach, da ist doch Fiat Lux! Das war halt einfach immer anstrengend.’" [6] Zu diesem Bericht in der „Badischen Zeitung“ meldete sich Uriella dann doch noch einmal zu Wort und stellte folgendes klar: „Fiat Lux ist ein Orden und keine Sekte. Weder war ich als Uriella verschwunden noch gab es vor einem Jahr das letzte Lebenszeichen von mir. In Ibach bin ich Realität und kein Schatten. Abwechselnd bewohne ich meine Liegenschaften in Lindau, in Oberibach und in Schwellbrunn/Schweiz. Gelegentlich befinde ich mich auch in unserem Lichtzentrum in Kärnten. Anlässlich meines 79. Geburtstages am 20. Februar gab ich telefonisch Interviews mit Radio- und Fernsehsendern in der Schweiz sowie Zeitungen. Jeden Tag erledige ich ein 16-Stunden-Arbeitsprogramm für die Ordensgemeinschaft. Ebenso habe ich laufend Kontakt zu einem halben Dutzend meiner engsten Mitarbeiter/-innen. Ich bin absolut selbstständig. Niemand pflegt mich.“ [7] Icordo versprach jedenfalls, dass seine Gattin bald „in alter Frische“ wieder an die Öffentlichkeit treten werde. Man darf also gespannt sein...

Im Schatten von „Fiat Lux“ haben sich in den letzten Jahren eine ganze Anzahl von Gruppen angesiedelt, die allerdings weitaus weniger konfliktträchtig sind und auch keinen vergleichbaren Medienrummel auslösten. So befinden sich im Kreis Waldshut, genauer gesagt in Remetschwiel und Todtmoos-Au, gleich zwei Zentren für tibetischen Buddhismus. In Remetschwiel betreibt eine „Karma Kagyü Stiftung“ das Seminarhaus „Bodhi Path“. Es besteht aus drei Bereichen: „Buddhistisches Zentrum, Gästehaus-Seminarhaus (...) und ein vermieteter Wohnbereich für Mitarbeiter. Das Projekt befindet sich weiterhin im Aufbau (...). Es werden Veranstaltungen geplant und durchgeführt, die sich an Buddhisten gleich wie auch an jede andere geistig, kulturell oder spirituell interessierte Person wenden. Wir beabsichtigen den interreligiösen Dialog zu fördern und vor allem Anregung zu eigener Suche zu geben. Wachstum und auch persönliche Entfaltung braucht die Begegnung verschiedener geistiger Haltungen. Respekt und Gegenseitigkeit bedürfen der Verschiedenheit als gemeinsamer Grundlage. Dies ist das Umfeld unserer Arbeit in Remetschwiel. Das Angebot an Seminarveranstaltungen ist diesen Zielen gewidmet und dadurch motiviert. Wir laden dazu ein, das Projekt ‚Seminarhaus Remetschwiel’ als Forum und Ort der Begegnungen sowohl als Veranstalter wie auch als Besucher zu nutzen. Wirtschaftliche Grundlage des Projektes sind Spenden, Einnahmen aus Vermietung und Seminarveranstaltungen. Gäste-Vermietung und Seminarhaus stehen bereits in vollem Umfang zur Verfügung“, so die Informationen auf der Homepage des Zentrums. [8] Das reichhaltige Programm besteht im Wesentlichen aus Einführungen in die Lehre des tibetischen Buddhismus, Meditationen und die Durchführung religiöser Rituale.
Ganz Ähnliches dürfte man in Todtmoos-Au finden. 1989 erwarb dort die Organisation „Kagyü Benchen Ling“ ein zweihundert Jahre altes Bauernhaus, errichtete einen Tempel und erwarb 1995 ein weiteres Gebäude, das nun als Seminar- und Gästehaus genutzt wird. „Auf dem ca. 4 Hektar großen Gelände befindet sich ein Park mit Wiesen, Gärten, Waldungen und Bächen, der die Bedürfnisse der Tempelbesucher nach Ruhe, Meditation und Arbeit in einer natürlichen Umgebung erfüllt“, verspricht die Homepage. [9] Pikant an den beiden Einrichtungen in Todtmoos-Au und Remetschwiel ist der Umstand, dass sie zwar beide derselben Schule des tibetischen Buddhismus – der Kagyü-Tradition – angehören, sich aber sonst spinnefeind sein dürften. Denn innerhalb dieser Schule tobt schon ein Jahren ein heftiger Konflikt um die Rechtmässigkeit des XVII. Karmapas, des Oberhaupts dieser Tradition. Diesen Titel beanspruchen zwei rivalisierende Tibeter. Während in Todtmoos-Au jener Karmapa anerkannt wird, der auch den Segen des Dalai Lama hat, folgt man in Remetschwiel sozusagen dem Konkurrenz-Karmapa. Der ganze Streit, bei dem es vor allem um sehr viel Geld und die Verfügungsgewalt über reiche Klöster im Himalaya geht, erinnert sehr an das christliche Mittelalter mit Papst und Gegenpapst... Gleichwohl gilt, dass beide Gruppierungen keinesfalls als „Sekte“ bezeichnet werden können.

Wer sich nicht für den tibetischen, sondern für den japanischen Zen-Buddhismus interessiert, wird ebenfalls im Schwarzwald fündig. In Aitern bei Todtnau existiert ein „Verein Spirituelle Wege e.V. – Zen und Kontemplation“, der sich um den Zen-Meister und Benediktiner-Mönch Willigis Jäger gruppiert. 1990 erwarb der Verein den „Sonnenhof“, ein ehemaliges Landschulheim. [10] Dem Vatikan sind die Praktiken und Lehren Jägers ein Dorn im Auge, weil Jäger sich vom personalen Gott des Christentums verabschiedet hat und in Gott nur noch eine Art Energie sieht. 2002 wurde Jäger deshalb von Rom ein „Bussschweigen“ auferlegt, an das er sich aber zur Freude seiner Anhänger nicht zu halten gedenkt, sondern munter weiter Vorträge hält und Kurse leitet.
Ebenfalls dem Zen-Buddhismus verpflichtet ist eine im Vergleich zu den anderen Zentren relativ alte Einrichtung, die 1951 von Karlfried Graf Dürckheim gegründete „Existential-psychologische Bildungs- und Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte, Schule für Initiatische Therapie“. [11] Was passiert dort? Dazu die Homepage: „Die Initiatische Therapie meint immer zugleich Initiation und Individuation, Erfahrung und Wandlung. Sie will Menschen in ihrer Suche unterstützen und begleiten. Sie ist Arbeit am Kern und umfaßt die individuelle Begleitung in Lebenskrisen. Sie bietet Hilfe bei einer Gestaltung des Lebensweges, die sich auf die existentielle Dimension des Menschen gründet. Seelische und psychosomatische Störungen werden in der Initiatischen Therapie als Anzeiger für Verhinderungen auf dem Weg der Menschwerdung (Individuation) verstanden. In diesem Sinne steht im Vordergrund der Arbeit nicht die Beseitigung von Krankheitssymptomen, sondern die ganzheitliche Heilung des Menschen, die Rückbindung an seinen immanenten Wesenskern. Diese Aufgabe erfüllt Rütte in einer Atmosphäre nüchternen Arbeitens und gemeinschaftlicher Geborgenheit mit einer individuell ausgerichteten seelenkundlichen Praxis.“ [12]

So gibt es eine ganze Anzahl von Gruppen, Zentren und Einrichtungen, die ich natürlich schon aus Zeitgründen nicht alle näher vorstellen kann. Zu nennen wären etwa das seit 1992 bestehende „Lichtquell“-Seminarzentrum in Todtmoos, in dem man allerlei esoterische Praktiken erlernen kann [13] oder der anthroposophische Kindergarten und die Waldorf-Schule in Dachsberg-Urberg, die es seit 1985 gibt. [14]


 

 

 

Überhaupt hat sich auf dem Hotzenwald ein regelrechtes anthroposophisches Netzwerk entwickelt, aus der mehrere Waldorf-Kindergärten und -Spielgruppen hervorgingen, so in Altenschwand und Albbruck, Herrischried und Görwihl. Seit 1994 veröffentlichen die „anthroposophischen Initiativen auf dem Hotzenwald und Umgebung“ ein Veranstaltungs- und Informationsblatt. „Von Anfang an waren es nicht weniger als zwanzig verschiedene anthroposophisch orientierte Einrichtungen, die darin mit Kursen, Vorträgen, Tanz- und Musikveranstaltungen vertreten sind. Nehmen wir als Beispiel die traditionsreiche ‚Sonnhalde’, eine Einrichtung für ‚Geist- und Seelenpflege bedürftige Menschen’ in Görwihl heraus, die mit ihren Veranstaltungen (hier besonders die Weihnachts- und Fasnachtsspiele) seit Jahrzehnten viele Besucher nach Görwihl zieht, dann lässt sich in Bezug auf anthroposophische Initiativen auf dem Hotzenwald schon lange nicht mehr von einer Randerscheinung sprechen.
Es gibt entsprechende Einrichtungen auch an anderen Orten im Landkreis Waldshut oder im benachbarten Kreis Lörrach. Denken wir nur an die große Waldorfschule in Schopfheim, die auch von den Kindern aus dem Wald besucht wird. Doch ist die Dichte und die Vielzahl der über das ganze Jahr verteilten Angebote ungewöhnlich groß. Bauernhöfe gehören ebenfalls in diesen Kreis, die den Bioladen in Görwihl und viele Privathaushalte direkt beliefern und auf den Wochenmärkten in Murg (Donnerstag) und Waldshut (Samstag) ihre Stände haben.“ [15] Bei der Anthroposophie handelt es sich um eine Art neue religiöse Bewegung, die ihre Wurzeln in der Theosophie des 19. Jahrhunderts hat. Sie ist auch heute noch untrennbar mit dem Denken ihres Gründers Rudolf Steiner verbunden. [16] Dies ist insofern nicht ganz unproblematisch, als Steiners Denken nicht weiterentwickelt wurde und Steiner z.T. Ansichten hatte, die als rassistisch bezeichnet werden können. [17] Leider reagieren manche Anthroposophen auf diese Kritik so allergisch, dass man sich an die Aggressivität von Scientology erinnert fühlt.

„Anders verhielt sich die holländische Anthroposophische Gesellschaft. Noch 1996 gab sie eine Untersuchung zu Steiners Vorstellungen über Rassen in Auftrag. Die Wissenschafter waren selbst Anthroposophen und kamen 1998 zu dem Fazit, dass 62 Textstellen aus heutiger Sicht diskriminierend – ja sogar strafbar sind. Das noch vereinzelt an holländischen Waldorfschulen bestehende Fach ‚Rassenkunde’ wurde abgeschafft und die Lehrmittel auf betreffende Aussagen hin überprüft. In Österreich und Deutschland sah man dagegen keinen Handlungsbedarf.“ [18]

Trotz dieser problematischen Aspekte der Anthroposophie wäre das Etikett „Sekte“ sicher keinesfalls angebracht, und auch die allermeisten der anderen im Schwarzwald existierenden Zentren und Gruppen sind relativ harmlos. „Relativ harmlos“ bedeutet, dass sich im Einzelfall durchaus problematische Konstellationen in Form psychischer Abhängigkeit ergeben können, dennoch wäre es sicher nicht gerechtfertigt, die gerade genannten Gruppen als „Sekten“ abzustempeln.

 

 

Dennoch stellt sich natürlich die Frage, warum es ausgerechnet im Schwarzwald so ein Überangebot an Spiritualität gibt. Die bereits erwähnte Susanne Stiefel schrieb: „Wo das Leben rau ist und die Natur unbeherrscht, scheint sich die Sehnsucht nach dem anderen, dem Ursprünglicheren, leichter stillen zu lassen. ‚Wer von widriger Natur umgeben ist, sucht Trost im Glauben’, weiß der katholische Sektenbeauftragte Albert Lampe, ‚und viele kommen zur Meditation hierher, weil es einfach schön ist.’ Zwischen Höllental und Himmelreich, zwischen abgeschiedenen Tälern und lauschigen Weilern ist die Suche nach dem Sinn des Lebens wohl angenehmer. Manchmal können Erklärungen ganz banal sein.“ [19] Jedenfalls gibt das Phänomen durchaus auch Einheimischen zu denken: „Warum die ausgerechnet hierher gezogen sind, ist für uns auch nicht nachvollziehbar“, meinte der Rickenbacher Bürgermeister in einem „Südkurier“-Interview. „Das Phänomen gibt es ja im ganzen Südschwarzwald. Wahrscheinlich kommen diese Menschen, weil wir sehr tolerant sind, ganz anders übrigens, als man uns üblicherweise nachsagt. Es hat hier, von den religiösen Salpeterernachfahren angefangen, immer religiöse Gruppierungen gegeben.“ [20]
Hinzu kommt, dass der Schwarzwald sehr günstig liegt – abgeschieden und trotzdem gut zu erreichen, nicht allzu weit entfernt von den Flughäfen in Zürich, Basel-Mulhouse und Stuttgart sowie der wichtigen Nord-Süd-Achse Karlsruhe-Basel. Ausserdem glaube ich, dass auch die Nähe zu Freiburg und der Schweiz eine wichtige Rolle spielt. Denn sowohl in Freiburg als auch in der Schweiz war Esoterisches und Spirituelles schon immer sehr gefragt und dort findet man im Schwarzwald einen idealen, ebenso nahen wie idyllischen Rückzugsraum. Ein Rückzugsraum, in dem Immobilien wie z.B. grosse Schwarzwaldhöfe schon aufgrund der Krise in der Landwirtschaft mitunter billig zu haben sind und aufgrund ihres grosszügigen Raumangebots als Seminarhaus oder Meditationszentrum ideal geeignet sind. Wollte man dies auf eine Kurzformel bringen, liesse sich sagen: Der Landwirt geht, der Sinnsucher kommt. Und so hat der Strukturwandel des Schwarzwalds von einem Raum, indem Landwirtschaft und Tourismus gleichermassen von Bedeutung waren, zu einem Raum, in dem der Tourismus – und sei es in Form „spiritueller Wellness“ immer wichtiger wird. Allerdings muss man auch sagen, dass die Wirtschaft vor Ort nicht in besonders grossem Masse von diesem spirituellen Tourismus profitieren dürfte – denn meistens übernachten und verpflegen sich die Sinnsucher in den Seminarhäusern selbst, sodass die lokale Gastronomie und Hotellerie nicht übermässig viel an ihnen verdienen dürfte.

 

 

Doch der Schwarzwald bietet natürlich nicht nur Esoterik und Buddhismus, sondern weist daneben – wie andere Regionen auch – zahlreiche neue christliche Gemeinden auf, die zum freikirchlich-evangelikalen Spektrum zählen. Allein in Waldshut bestehen mit der „Missionsgemeinde“ in der Gurtweiler Strasse, dem „Zentrum für Christen“ im Auweg und der „Freien Ev. Christengemeinde“ in der Klingnauer Strasse drei relativ junge evangelikale Gemeinschaften. Zu diesem Spektrum zählt im Übrigen auch die „Christliche Schule Hochrhein“ im Ziegelfeld. Eine anschienend besonders erfolgreiche Gemeindegründung ereignete sich auf dem Hotzenwald, wo sich in der alten Seidenbandweberei von Segeten eine „Christliche Gemeinschaft Südschwarzwald“ versammelt und jeden Sonntag im Schnitt über 150 Gottesdienstbesucher aus der ganzen Region anzieht. [21]
Dass freikirchlich orientierte Gemeinden an vielen Orten scheinbar wie Pilze aus dem Boden schiessen, verunsichert viele volkskirchlich engagierte Christen, die sich in ihren eigenen Gemeinden immer leereren Kirchenbänken gegenübersehen. Von Besucherzahlen, wie sie die gerade erwähnte „Christliche Gemeinschaft Südschwarzwald“ betrachtet, kann die evangelisch-landeskirchliche Pfarrerin der Gemeinde in Görwihl nur träumen – zu ihr finden gerade einmal 20 Gläubige. [22] Kein Wunder, dass viele landeskirchliche Christen und Pfarrer die neuen evangelikalen Gruppierungen und Gemeinden oft mit einer Mischung aus Argwohn und Neid betrachten: Argwohn, weil ihnen die Frömmigkeit und Bibeltreue vieler evangelikaler Christen ebenso wenig geheuer ist wie ihre Ablehnung von Homosexualität und Sex vor der Ehe, mit Neid, weil es die neuen Gemeinden offenbar mühelos schaffen, die Menschen, und darunter nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene, mit packenden, fetzigen Gottesdiensten zu begeistern.

Aber ist der Eindruck eines hemmungslosen Wachstums evangelikal-freikirchlicher Gemeinden überhaupt richtig? Für die Schweiz, deren Strukturen mit unseren halbwegs vergleichbar sein dürften, liegen dazu interessante soziologische Ergebnisse vor. In der Schweiz zählen nur rund 2,2 % der Bevölkerung zum evangelikalen Spektrum, worunter in diesem Fall charismatische, pfingstlerische und fundamentalistische Gemeinden verstanden werden sollen. [23] Das evangelikale Milieu in der Schweiz (und wie gesagt wohl auch bei uns) zeichnet sich durch einige besonders auffällige Merkmale aus: So sind 72,3 % der evangelikalen Christen verheiratet, in den evangelisch-landeskirchlichen und römisch-katholischen Kirchgemeinden sind dies nur 52 bzw. 56 %. [24] Besonders fallen die Unterschiede in den theologischen und ethischen Ansichten aus. Die Aussage „Gott existiert und hat sich selbst in Jesus Christus geoffenbart“ finden nahezu 100 % der evangelikalen Christen richtig. In den evangelischen Landeskirchen sind dies nicht einmal 32 % und auch bei den Katholiken nur 44 %. [25] Dass die Bibel wörtlich genommen werden müsse, wird (je nach Gruppierung) von 40-57 % der evangelikalen Schweizer bejaht, bei Katholiken und Protestanten sind es nicht einmal 10 %. [26] Ganz drastisch fallen die Differenzen in der Sexualmoral aus: „Sex vor der Ehe ist immer falsch“ – diese Ansicht teilen zwischen 56 und 88 % der Evangelikalen, aber nur 6 % der Protestanten und – man höre und staune – sogar nur 4 % der Katholiken. [27]
Dass das evangelikale Christentum mitunter bei landeskirchlich orientierten Christen auf Argwohn stösst, hängt neben den rigideren Moralvorstellungen sicher auch damit zusammen, dass diese Gemeinden eine klare Ausrichtung auf Mission und Bekehrung aufweisen, den anderen Gemeinden deren Gläubige also abspenstig machen möchten. So heisst es etwa bei der „Missionsgemeinde“:

„Als Missionsgemeinde Waldshut stellen wir uns im besonderen Maße dem Auftrag Jesu in Matth. 28,19-20 zur Verkündigung der herrlichen Heilsbotschaft Gottes an alle Menschen. Dabei berufen wir uns in gleicher Weise auf die Bibel als dem unveränderlichen, unvergänglichen, geschriebenen Wort Gottes sowie auf Jesus Christus, den Sohn Gottes, der sich im Leben jedes Gläubigen als der Auferstandene und Lebendige erfahren läßt. Mit Rat und Tat wollen wir Suchende zu Christus fahren und Ihnen Hilfestellung im Aufbau einer lebendigen Vater-Kind-Beziehung zu Gott geben und dies auch gemeinsam pflegen. Über den Zuspruch der Liebe Gottes hinaus glauben und beten wir für alle Gläubigen um seelische und körperliche Heilung, Befreiung. Charakterveränderung und Leben aus Gott. Ziel ist es, daß die Gläubigen Gottes Gaben, Berufung und Führung in ihrem Leben erkennen, seine Verheißungen in Anspruch nehmen und sich dem Reden und Wirken des Heiligen Geistes öffnen und hingeben.“ [28]

Der starke Akzent vieler evangelikaler Gemeinden auf Mission und Bekehrung kann bei vielen Aussenstehenden den Eindruck erwecken, sie seien darin besonders erfolgreich. Die Untersuchung der Evangelikalen in der Schweiz hat jedoch ergeben, dass die Freikirchen nicht so sehr wachsen, weil sie besonders erfolgreich missionieren, sondern weil ihre Gemeindemitglieder oft eine etwas höhere Kinderzahl aufweisen und es den Gemeinden – ganz im Gegensatz zu den Landeskirchen – weitgehend gut gelingt, die Jugendlichen bei der Stange zu halten. [29] Anders gesagt: Evangelikale Christen haben oft nicht nur mehr Kinder als landeskirchliche Christen, sondern diese Kinder bleiben dem evangelikalen Milieu meistens treu, während sich viele junge Katholiken und Protestanten nach der Firmung bzw. Konfirmation von der Kirche abwenden – und zwar sehr oft ein für allemal.
Evangelikale Freikirchen sind also nicht so sehr erfolgreich, weil sie besonders effizient Mission betreiben, sondern eher weil ihnen der Nachwuchs treu bleibt. Möglicherweise ist es aber gerade das, was ihnen von Seiten manches Landeskirchenchristen den Verdacht einträgt, dass es sich bei den vielen evangelikalen Gemeinden um sektenähnliche Gebilde handle. Die Verunsicherung ist – dies zeigen die Anfragen an die diversen Beratungsstellen – immens. Leider lassen sich jedoch keine allgemeingültigen Aussagen formulieren, denn zu gross sind die Unterschiede zwischen den einzelnen evangelikalen Gruppierungen, so dass jede Gemeinde für sich betrachtet werden muss. Überall dort, wo ein biblischer Fundamentalismus gepredigt wird, wo Intoleranz und Engstirnigkeit herrschen, aus der Frohbotschaft des Evangeliums eine Drohbotschaft wird, eine übertriebene Furcht vor Okkultismus besteht, mit Verweis auf den biblischen Schöpfungsbericht die Evolutionstheorie geleugnet wird oder sogar mittels des so genannten „Befreiungsdienstes“ vermeintliche Dämonen ausgetrieben werden, besteht Grund und Anlass zu grosser Vorsicht.

Dass evangelikale Gemeinschaften durchaus sektenhafte Züge annehmen können, zeigte das Wirken des lange in Rickenbach lebenden Predigers Horst Schaffranek, dessen Gruppe massiv andere Gottesdienste störte und im Hotzenwald illegal Häuser errichtete, die 1995 von der Polizei geräumt wurden. Das evangelikale Nachrichtenmagazin „IDEA Spektrum“ schrieb:

„Schaffraneks Grüppchen trägt sektenhafte Züge. Es ist eine geschlossene Gesellschaft, zu der nicht einmal die Eltern von Mitgliedern Zutritt haben. Recht und Gesetz interessiert die Wohngemeinschaft nicht. (…) Sektenhaft ist auch der Umgang mit Ehemaligen. Wenn jemand die Schaffranek-Gemeinschaft verläßt, wird er massiv unter Druck gesetzt. Ein ehemaliger Mitarbeiter berichtet gegenüber IDEA, wie er telefonisch und durch Haustürbesuche auch noch nach Jahren bedrängt worden sei. Dabei hätten die ungebetenen Besucher sogar illegal ein Tonband mitlaufen lassen, um Gesprächsprotokolle anlegen zu können. Erst durch die herbeigerufene Polizei sei er an dieses Band gekommen. Die Analyse des Ex-Mitglieds: Auf ungefestigte Persönlichkeiten wirke Schaffraneks Botschaft wie eine ‚Gehirnwäsche’. Das radikale Glaubensverständnis sei verbunden mit einem Elitedenken, das zudem keine Kritik an Chef Schaffranek dulde. ‚Es herrscht ein gewisses Papsttum.’" [30]

Fundamentalismus ist aber kein ausschliessliches Problem des protestantischen Spektrums, sondern ist auch im Katholizismus anzutreffen, und genauso wie es evangelikale Gemeinschaften gibt, existieren auf der anderen Seite so genannte „katholikale“ Gruppen. Darunter versteht man einen oft vorkonziliar orientierten Katholizismus, in dem eine ausgeprägte (um nicht zu sagen: übertriebene) Marienfrömmigkeit und -verehrung praktiziert wird und eine starke Abwehrhaltung gegen alle innerkirchlichen Reformversuche seit dem Zweiten Vaticanum eingenommen wird.
Zu diesem Milieu zählt zweifellos das „Kloster Marienberg“ in Häusern, das der „Priesterbruderschaft des Hl. Pius X.“ von Marcel Lefebvre zuzurechnen ist. Die „Priesterbruderschaft des Hl. Pius X.“ entstand 1970 als ablehnende Reaktion auf die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils. 1974 erklärte Lefebvre:

„Wir hängen mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele am katholischen Rom, der Hüterin des katholischen Glaubens und der für die Erhaltung dieses Glaubens notwendigen Traditionen, am Ewigen Rom, der Lehrerin der Weisheit und Wahrheit. Wir lehnen es hingegen ab, und haben es immer abgelehnt, dem Rom der neo-modernistischen und neo-protestantischen Tendenz zu folgen, die klar im Zweiten Vatikanischen Konzil und nach dem Konzil in allen Reformen, die daraus hervorgingen, zum Durchbruch kamen.“ [31]

Weitere Einrichtungen der „Traditionalisten“, wie sie auch genannt werden, befinden sich in Freiburg-Betzenhausen, Rheinhausen bei Lahr, Offenburg und Schramberg. [32]
Sie sehen: der Schwarzwald bietet nicht nur eine schöne Landschaft, gute Luft und eine hervorragende Gastronomie, sondern auch für jeden spirituellen Geschmack scheint etwas dabei zu sein – für den Esoteriker und Buddhismus-Interessierte ebenso wie für fromme Evangelikale und traditionalistische Katholiken.

Daher nochmals die Frage: Ist der Schwarzwald also nicht doch ein Sekten-Paradies? Ich hoffe, dass durch meine Ausführungen deutlich wurde, wie gross tatsächlich die Zahl der spirituellen Zirkel, Zentren und Grüppchen ist, die sich im Schwarzwald niedergelassen haben. Doch die meisten von ihnen können als relativ harmlos eingestuft werden. Was „Fiat Lux“ betrifft, dürfte dieses Phänomen spätestens in fünf bis zehn Jahren der Vergangenheit angehören. Überhaupt ist auf diesem Gebiet schon deshalb Gelassenheit angesagt, weil viele Gruppen von selbst wieder verschwinden. Wenig ist so volatil und unbeständig wie der spirituelle Markt. Die Erregung in Breitenfeld über die „Open Sky Community“ wäre sicher etwas schwächer ausgefallen, hätte man gewusst, dass sich die Gruppe bald wieder vom Hochrhein verabschiedet, sie hat sich inzwischen in der Nähe von Köln ein neues Domizil gesucht. Gelassenheit ist auch angesagt, wenn es um das Schreckgespenst Scientology geht: Gerade diese – zu Recht – als höchst problematisch und gefährlich eingestufte Psycho-Sekte hat im Südbadischen nie Fuss fassen können. Zwar nimmt sie im Moment in Freiburg einen weiteren Anlauf dies zu ändern, doch auch er dürfte scheitern. Hollywood ist eben etwas arg weit weg vom Schwarzwald, und ich muss sagen: dann doch lieber sanft säuselnde Sinnsucher, die im dunklen Farn nach Zwergen und Elfen suchen. Seien wir doch tolerant und lassen ihnen ihren Spass!

© Dr. phil. Ch. Ruch 2007 

 

 

Anmerkungen

[1] Exposé des Films „Mythorama - Sinnsuche und Magie in den Schluchten des Schwarzwaldes“ (Arbeitstitel).
[2] Ebd.
[3] Sonntag Aktuell, 19.12.2004, S. 3.
[4] Zur Verunglimpfung Haacks und Kuballas siehe die Äusserungen Icordos in Grandt, Guido und Michael/Bender, Klaus-Martin, „Fiat Lux. Uriellas Orden“, München 1992, S. 10.
[5] Zitat aus „Der ORDEN FIAT LUX stellt sich vor“, o. O. 1996, S. 1.
[6] BZ, 21.2.2007.
[7] BZ, 10.3.2007.
[8] bodhipath.creativeminds.de/index.php?id=36 (31.3.07).
[9] www.kagyu-benchen-ling.de/ (31.3.2007).
[10] www.spirituelle-wege.de/ (31.3.2007).
[11] www.duerckheim-ruette.de/ (31.3.2007).
[12] Ebd.
[13] www.lichtquell.de (31.3.07).
[14] www.waldorfschule-dachsberg.de/schule.html (31.3.2007).
[15] Joachim Rumpf, „Der Hotzenwald im Wandel“, auf www.salpeterer.net/Heimatkundliches/Wandel.htm (14.4.07).
[16] Siehe dazu www.relinfo.ch/anthroposophie/info.html.
[17] Siehe dazu www.infosekta.ch/is5/gruppen/anthroposophie1999.html#vanderLet (14.4.07).
[18] Ebd.
[19] Sonntag Aktuell, 19.12.2004, S. 3.
[20] SK, 31.12.1993.
[21] AB, 22.4.2006.
[22] Ebd. [23] Jörg Stolz und Olivier Favre, „The Evangelical Milieu: Defining Criteria and Reproduction across the Generations“, in: „Social Compass“, 52(2)/2005, S. 169-183, hier S. 171.
[24] Ebd., S. 174f.
[25] Ebd., S. 175.
[26] Ebd. [27] Ebd.
[28] www.weinberg-hochrhein.de/Gemeinden/Missionsgemeinde/missionsgemeinde.html (1.4.07).
[29] Stolz und Favre (wie Anm. 17), S. 178ff. [30] www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/sekte_horst_schaffranek.html (4.4.07), IDEA Spektrum, Heft 30/1999.
[31] www.fsspx.info/bruderschaft/index.php?show=fsspx (2.4.07).
[32] www.fsspx.info/zentren/karte.php (2.4.07).

 

 

 

Über Christian Ruch und sein Arbeitsfeld erhalten Sie Informationen über die Homepages

http://www.christianruch.ch
und

https://www.kath.ch/infosekten/text_detail.php?nemeid=6372

 


zurück zur Inhaltsübersicht