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Salpetererunruhen im Hotzenwald
Gastbeitrag

 

 

Liebe Freunde unserer Heimatgeschichte,

der nachfolgende Beitrag wurde mir von Herrn Werner Fasolin zugesandt, der ihn bereits 1995 in der Zeitschrift "Vom Jura zum Schwarzwald", die von der Badisch-Fricktalischen Vereinigung herausgegeben wird, veröffentlichte. Ich stelle Herrn Fasolins Aufsatz gern hier ein, da er ein  Beispiel dafür ist, dass die Salpetererunruhen unter den Frauen und Männern in unseren Landschaften beiderseits des Rheins im achtzehnten Jahrhundert auf ein lebhaftes Interesse stießen.

Im Anschluss an diesen Aufsatz habe ich erste Informationen über Werner Fasolin zusammengestellt.

Dr. Joachim Rumpf
08.08.06

 


Werner Fasolin

Wie 1740 in Oeschgen ein discurs von dem Salpeter Handel endete...

 

...und warum Gabriel Mösch von Frick den Übernamen Salpetter erhielt

Schon spätestens im Spätsommer 1740 hatte Gabriel Mösch einen schlechten Ruf in seinem Wohnort Frick (1). Es wurde ihm vorgeworfen, er sei ein Nichtsnutz, der das Brot nicht selber verdienen könne. Zudem habe er seinem Vater, seiner Frau und seinen Kindern alls verbuzt undt verlumppet, also sämtliches Vermögen durchgebracht. Vor Jahresfrist soll er zudem eine Reute verkauft haben, die ihm von der Gemeinde im Fricker Wald zugeteilt worden war. Damals war es üblich, ärmeren Mitbürgern, die kein eigenes Land besassen, kahlgeschlagene Waldflächen zuzuweisen Diese konnten für einige Jahre angepflanzt werden, um Lebensmittel zu produzieren. Dies sollte das Betteln verhindern. Weil das Land aber bloss verpachtet wurde, blieb es im Besitz der Gemeinde, und ein Verkauf durch den Pächter kam nicht in Frage. Mösch, der offensichtlich durch fehlende Mittel in Not geraten war, sah wohl in diesem versuchten Verkauf einen – allerdings untauglichen – Weg aus seinem Elend. Dann wurde auch noch ruchbar, dass er in dem Wald ein äÿchen gehawen haben solle. Die darauf verhängte Frevelbusse und seine allgemeine verzweifelte Lage dürften seine Einstellung den Dorfautoritäten und überhaupt der Obrigkeit gegenüber verhärtet haben. Auf die Spitze trieb er es dann, als er zu Josef Vogel, seines Zeichens Burger Meistern von Frick (2), sagte, jetzt müsse es so zugehen wie bei den Salpeterern. Wenn niemand mitmache, so fange er allein an und tue wie die Salpeterer, und wenn er als erster gehenkt werden müsse. So kam er zu seinem Übernamen Salpetter.

Am Sonntag, den 11. September 1740, zog Bürgermeister Vogel zusammen mit weiteren Fricker Geschworenen – Leonz Mösch, Joseph Schmid Grafen, Johann Schilling und Joseph Mösch –  ins Wirtshaus Adler (3) im Nachbardorf Oeschgen. Dort wurde auff dem Khegelplatz tüchtig dem Wein zugesprochen, so dass auch bald die Zungen recht locker waren. Dabei hörten die anwesenden Oeschger Bürger mit, wie die Fricker sich über Gabriel Mösch ausliessen. Dieser seÿe ein Schölm, man khenne ihn schon. Er und noch andere seÿn Salpeterer. Vogel wurde aufgefordert, solches nicht zu behaupten. Als darauf von den Frickern ein discurs von dem Salpeter Handel geführt worden sei, hätten die Oeschger sie erneut zu beschwichtigen versucht. Johann Kienberger sagte, sie sollten darüber schweigen, denn die Salpeterer-Sache sei ein Schöllmen Handel gewesen, er gehöre nit hieher in daß Frikthal.

 Am Donnerstag, den 15. September 1740, wurde im Schönauer-Schloss zu Säckingen im Namen des Freiherrn von Schönau eine Gerichtsverhandlung abgehalten, bei der Gabriel Mösch, genannt der Salpeterer, als Kläger mit seinem Fürsprech Franz Heinrich Scherenberger von Frick und drei Oeschger Bürgern als Zeugen gegen den Angeklagten Josef Vogel, Bürgermeister von Frick, auftrat. Mösch trug als Kläger vor, dass Vogel ihn Zue Öschgen beim Adler in dem würthß Hauß solle gescholten haben. Er wisse aber nicht, was es sei, und liess die drei Zeugen Heinrich Sprenger, Johann Kienberger und Fridolin Lämmli aussagen. Alle drei belasten Vogel unter anderem mit der Beschuldigung, er hätte Mösch einen Schölm genannt. Sprenger sagte zudem aus, die anderen Aussagen lasse er weg, weil sie betrunken gewesen seien.

Vogel versuchte sich herauszureden, indem er alle schlechten Eigenschaften von Gabriel Mösch herausstrich und erklärte, weshalb dieser Nichtsnutz als Schelm gegolten habe. Ob er ihn einen S:v: Schölmen gescholten habe, könne er wirklich nicht mehr sagen, weil er betrunken gewesen sei, machte er geltend. Erst nach langem Hin und Her gab Vogel schliesslich zu, den Kläger einen Schelm genannt zu haben, und er bat das Gericht gleichzeitig um Gnade. Darauf fiel das Urteil: Der Beklagte, Bürgermeister Josef Vogel von Frick, musste erstens den Kläger Gabriel Mösch den Salpeterer und Nichtsnutz vor Ambt Entschlagen, undt ihne alß einen Ehrlichen Mann declariren, zweitens der Herrschaft die Verfahrenskosten entschädigen und drittens innert acht Tagen eine Busse von 3 Cronen bezahlen.

 

.. und warum nicht er, sondern der Bürgermeister gebüsst wurde

 Noch im 18. Jahrhundert spielte der Begriff Ehre im dörflichen Zusammenleben eine ganz andere, viel zentralere Rolle als heute (4). Ehrenhändel, wie er im beschriebenen Auszug aus dem Oeschger Gerichtsprotokoll zum Ausdruck kommt, gehörten im 17. und 18. Jahrhundert zum dörflichen Alltagsleben. Ein Konflikt zwischen zwei Personen, dessen Anlass vielleicht weit zurücklag, konnte sich allmählich so steigern, dass am Ende üble Scheltworte, am häufigsten «Dieb» und «Schelm», ausgeteilt wurden. Sie traten an Stelle physischer Gewalt, konnten aber dennoch zu körperlichen Empfindungen führen. Damit wurde bewusst auf die Ehre des Bescholtenen gezielt, wobei der Inhalt der Schimpfwörter nicht zutreffen musste (wenn also das Wort «Schelm» fiel, war nicht zwangsläufig gemeint, dass der Bescholtene wegen eines Schelmenstreichs beschuldigt wurde).

Auf eine solche Beleidigung folgte jeweils der zweite Schritt des Rituals: der Gang zum Richter, in der Regel sehr bald nach dem Anlass. Dies schaffte die notwendige Öffentlichkeit der Angelegenheit und diente in erster Linie der Wiedereingliederung des Beschimpften, aber auch des Beleidigers. Ob der Inhalt der Beleidigung zutraf, spielte dabei wie erwähnt keine Rolle.

Im Fall von Gabriel Mösch war es deshalb für den Richter nicht von Belang, ob der Kläger aufwieglerische Ideen geäussert hatte (er wolle der erste Salpeterer sein, und wenn er gehenkt werde), dass er das ganze Vermögen verbuzt hatte, dass er im Wald gefrevelt und unrechtmässig hatte Land verkaufen wollen, das der Gemeinde gehörte. Es ging nur darum, ob seine Ehre durch Bürgermeister Josef Vogel angetastet worden war, indem er ihn einen Schölm genannt hatte. In diesem Punkt nun weicht dieser Ehrenhandel von der üblichen Norm ab. In der Regel wurden Worthändel von Angesicht zu Angesicht ausgetragen. Hier aber hatte der Kläger indirekt von einigen Zeugen gehört, dass er beleidigt worden sei. Vielleicht um nichts Falsches zu sagen, liess er die Oeschger Zeugen für sich reden. Auffallend ist auch, dass er mit Franz Heinrich Scherenberger einen einflussreichen Fricker Bürger als Fürsprech dabeihatte. Alles Leugnen nützte Vogel nichts, auch wenn er sich wegen Betrunkenheit nicht mehr an seine Worte erinnern wollte oder konnte: Unter der Last der Zeugenaussagen musste er die Beleidigungen zugeben, was zu seiner Bestrafung führte. Als erste und wichtigste Tat musste er vor dem Gericht Mösch alß einen Ehrlichen Mann declariren. Damit war Möschs Ehre wiederhergestellt.

Es fällt auf, dass sich Mösch trotz seiner niederen sozialen Herkunft und seinem angeschlagenen Ruf gegen den ehrenwerten Bürgermeister durchsetzen konnte. Dies zeigt, wie stark der Ablauf dieser rituellen Händel verinnerlicht war und wie sie durch die Obrigkeit zu Gunsten eines guten Zusammenlebens in der dörflichen Gemeinschaft erledigt wurden.

 

 

Die Begebenheit zeigt am Rande, dass im Fricktal über die Anliegen der Salpeterer im Hauensteinischen nicht bloss diskutiert wurde, sondern dass es offenbar auch hier einige Hitzköpfe gab, obwohl sie offenbar überhaupt keinen Einfluss hatten. Während der verarmte Gabriel Mösch – möglicherweise aus Verbitterung gegenüber den Dorfoberen – zu einem glühenden Verehrer der aufständischen Salpeterer wurde, müssten die Aussagen der Zeugen, der Salpeterer-Handel sei ein Schöllmen Handel gewesen, er gehöre nit hieher in daß Frikthal, der Ansicht der Bevölkerungsmehrheit entsprochen haben. Gerne hätte man in diesem Zusammenhang etwas über «die andern» in Frick gehört, die auch Salpeterer seien. Darüber schweigt leider das Protokoll, aber es ging ja auch in erster Linie bloss um einen der üblichen Worthändel.

 

 

Anmerkungen

1 Die folgende Begebenheit findet sich aufgezeichnet im «Gerichtsprotokoll des Stifts Säckingen 1728–1743», StAAG 6311. Der Titel ist irreführend, denn es handelt sich ausschliesslich um protokollierte Gerichtsverhandlungen, mehrheitlich Fertigungsangelegenheiten, in den Freiherr von Schönauischen Besitzungen Oeschgen, Wegenstetten und Obersäckingen, die zudem nur zu einem sehr geringen Teil im Schönauer-Schloss zu Säckingen stattfanden, sondern wie üblich in den einzelnen Ortschaften.

2 Die Gemeinde Frick hatte im 18. Jahrhundert neben einem Vogt oder Stabhalter drei Geschworene und einen Bürgermeister als Exekutivbehörde (vgl. Walter Graf, Die Selbstverwaltung der fricktalischen Gemeinden im 18. Jahrhundert. In: VJzSch 1964/65, S. 108). Möglicherweise trug der Vorsteher der oberen Gemeinden Gipf und Oberfrick den Titel Bürgermeister.

3 Das Wirtshaus zum Adler wurde auch – nach seinem Standort – Zelgli-Wirtschaft genannt und war nach dem «Schwanen» die zweite Dorftaverne. 1740 wirtete im «Adler» Valentin Jauch, der wenige Jahre zuvor aus Eiken zugezogene Stammvater des Oeschger Geschlechts Jauch.

4 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die grundlegende Arbeit über «Alltag und Lebensformen auf der Basler Landschaft um 1700» von Albert Schnyder-Burghartz (Liestal 1992), Kapitel «Handlungsräume von Frauen und Männern», Abschnitt «Gewalt und Ehre im dörflichen Alltag» (S. 301 ff.). Schnyders Ergebnisse lassen sich grundsätzlich auch auf das Fricktal übertragen.

 

 

 

 

Über den Autor dieses Aufsatzes:

Werner Fasolin ist Jahrgang 1950 und wohnt in Gipf-Oberfrick CH. Im Fricktal arbeitet er als Primarlehrer seit 1972. Er gehört dem Vorstand der "Fricktalisch-Badischen Vereinigung für Heimatkunde" an und arbeitet im Redaktionsteam der Jahreszeitschrift dieses Vereins mit. Seit 1990 erschienen In jedem Jahrgang der Zeitschrift "Vom Jura zum Schwarzwald. Blätter für Heimatkunde und Heimatschutz" (Hrsg.: Fricktalisch-Badischen Vereinigungfür Heimatkunde e. V. Möhlin) sind Beiträge von ihm zu finden. Es sind dies Aufsätze zu volkskundlichen Themen mit dem Schwerpunkt auf Auswanderung und Hausforschung.

Für die Sammlung "Nachbarn am Hochrhein. Eine Landeskunde der Region zwischen Jura und Schwarzwald, Fricktal - Rheintal - Hotzenwald" (Hrsg.: Fricktalisch-Badischen Vereinigung für Heimatkunde e. V. Möhlin 2002)
schrieb er die Beiträge:
"Handwerk und Gewerbe. Heimindustrie und Auswanderung" (Band 2, S. 45 - 63);
Zur Entwicklung der ländlichen Häuser, Höfe und Siedlungen (Band 2, S. 111- 124)
Die Siedlungsentwicklung in Stadt und Land (mit Peter Frey; Band zwei, S. 125 - 129).

 

 

 


 

Tannhupper und Leelifotzel
Sagen der Nachbarn am Hochrhein

Im Herbst 2008 erschien ein Sagenbuch der Fricktalisch-Badischen Vereinigung, für das Werner Fasolin in vieljähriger Arbeit rund 500 Sagen zusammengetragen hat. Dieses Buch "soll das erste große Werk werden, in dem ein detaillierter Überblick über die mystischen Geschichten der Region beiderseits des Rheins gegeben wird"

Susan Bersen in: Badische Zeitung v. 24. 05. 2008, S. 29; aus diesem Beitrag ist mir freundlicher Weise von Frau Bersem das nebenstehende Foto mit Werner Fasolin zur Verfügung gestellt worden. Herzlichen Dank!

Sowohl die Präsentation dieses Sagenbuches als auch die Lesungen, die Frau Enderle aus Murg und Herr Fasolin anboten, waren sehr eindrucksvoll. Die zum Teil in den jeweiligen alemannischen Dialekten geschriebenen Sagen aus dem Fricktal, vom Hochrhein und Hotzenwald ergänzen das vor 75 Jahren von Traugott Fricker und 1987 von Albin Müller erneut herausgegebene Sagengut.

 

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Hotzenhaus


Auf diesem Bildausschnitt sind Mitglieder der Arbeitsgruppe Architektur und Siedlungsentwicklung des Naturparks Südschwarzwald vor dem Hotzenhaus abgebildet. Werner Fasolin (rechts im Bild) ist also recht vielseitig tätig. Er führte die Arbeitsgruppe.

aus: Bad. Ztg. v. 01.10.2007. Bild und Bericht von Brigitte Chymo

 

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